Ein Einhorn lag in meinem Schoß
Diarra von Kolon: Ach, das ist lange her...
Ich war damals noch ein junges Nattifftoffenmädchen... Du
mußt wissen, meine Zofe, damals, als ich noch bei meiner
Großmutter wohnte, war da sehr altmodisch und ein wenig
abergläubig.... Also mußte ich mich an meinem 13.
Geburtstag auf die Wiese im Wald setzen und singen, um ein Einhorn
anzulocken. Das ist so Tradition (behauptete meine Zofe) und es solle
mir Glück bringen - was es nicht tat, aber der Reihe nach... Ich
saß also da, in meinem besten Kleid und sang ein trauriges Lied,
welches ich vorher hatte lernen müssen... ich fürchte, ich
werde es noch auf meinem Sterbebett können.... Wie auch immer,
du wirst es bestimmt nicht hören wollen... ich saß also da
und sang mir die Kehle wund und wartete und wartete. Viel lieber
hätte ich mit meinen Freundinnen zu Hause gesessen und
hätte Geburtstagstorte gegessen - unser Hauskoch buk immer
fantastische Geburtstagstorten! - aber nein, ich durfte erst nach
Hause kommen, wenn ein Einhorn aufgetaucht wäre und so halt....
Als ich das Lied schließlich zum dritten Mal wiederholt hatte
und schon langsam die ersten Sterne über den Himmel stiegen -
meine Freundinnen waren mittlerweile unter Garantie nach Hause gegangen
- raschelte es im Unterholz hinter mir... Also: Im Unterholz raschelte
es und ich drehte mich erschrocken um, als ein wunderschönes,
schneeweißes Pferd mit glänzendem Fell und einem ziseliert
gewundenen Horn auf der Stirn auf die Wiese trat. Es sah mich an und
ich sah es an. Und in diesem Moment fingen mich seine Augen ein und
hielten mich fest. Ich glaube, wir haben uns ewig in die Augen
geschaut und ich versank förmlich in seinen tiefen, dunklen,
großen Augen. Das war der Moment, wo ich mich zum ersten Mal in
meinem Leben... *errötet*... Naja, ich verknallte mich in dieses
Wesen, welches da vor mir stand und mich anschaute. Dann, nachdem
Milliarden von Jahren vergangen schienen, schritt das Einhorn auf mich
zu, senkte den Kopf und legte ihn in meinen Schoß. Ganz
unbewußt, ich merkte es selber erst, daß ich es tat, als ich
es tat, legte ich meine Arme um seinen starken Hals und streichelte
sanft das weiche, warme Fell und die seidige Mähne. Doch das
Einhorn stöberte mit seiner Nase in meiner Rocktasche herum, als
suche es dort etwas. Die Rocktasche war natürlich leer...
ausgerechnet dieses eine Mal war meine Rocktasche leer, wo ich sonst
immer alles mögliche darin mit mir herumtrage - Kekse, Bonbons,
schöne Steine, duftende Kräuter oder ein Stück
hübsch gemustertes Holz - und das Einhorn hob enttäuscht den
Kopf, guckte mich vorwurfsvoll an und gallopierte fort in den Wald und
verschwand. Ich habe es nie wieder gesehen, obwohl ich noch häufig
zu der Lichtung gekommen bin und es brach mir damals wirklich das Herz.
*errötet schon wieder, während sie all das erzählt* So
sind Einhörner halt! Sie machen einem schöne Augen und wenn
man nicht das tut oder hat, was sie von einem wollen, sind sie beleidigt
und verschwinden und lassen sich nie wieder sehen!
Brachte es nun Glück?
*zuckt mit den Schultern* Glück?
Nein, Einhörner bringen genauso wenig Glück, wie ein
Handdruck von einem Rußdämon! Zumindestens war das
Glück oder Unglück, welches mir seither wiederfahren ist,
nie auf die Begegnung mit dem Einhorn zurück zu führen!
Das einzige, was damit im Zusammenhang stand, war eine Woche voller
Tränen, ein Riss im Herzen und einiges an Verbitterung....